Xinjiang: im Westen Chinas unterwegs im Uiguren-Land

neue Dimensionen im Reich der Mitte

Bei unserer Streckenplanung für China wurde uns schnell klar, dass wir in der Zeitspanne von 2.5 Monaten (max. Visadauer ohne Ausreise) unsere Wunschroute nicht nur mit dem Fahrrad machen könnten. Auf die Berge im Westen Sichuans wollten wir nicht verzichten. So entschieden wir uns zwar etwas wehmütig für die Strecke zwischen Ürümqi und Lanzhou auf den Zug zu verladen.

Nach den Grenzübergängen in den Iran und nach Turkmenistan erwartete uns beim Grenzübertritt nach China eine dritte schlagartig grosse Veränderung. Schon vom ländlichen kasachischen Grenzdorf sahen wir 200m weiter östlich die Hochhäuser der chinesischen Kleinstadt (für unser Verständnis eine Grossstadt) und unzählige Baukranen in den Himmel ragen. Nachdem wir aus unerklärlichen Gründen die 7.2km lange eingezäunte Strasse im Kreis zum chinesischen Grenzposten gefahren waren, überraschte uns die Ordnung und Organisation im grossen, neuen Marmorgebäude.

Auf der Strasse hatte es endlich wieder Verkehrsschilder mit genauen Kilometer- und Richtungsangaben. Nur waren für uns die Schilder nicht verständlich. Mit unserer chinesischen Strassenkarte standen wir jeweils vor den Schlidern und verglichen: das Rätselraten konnte beginnen. Das neue Land brachte zudem eine weitere grosse Veränderung mit sich: Das Essen! Lange hatten wir uns auf die chinesische Küche gefreut. bild
Obwohl die uigurische Küche sich im Grunde nicht so sehr von der zentralasiatischen Küche unterscheidet, hat sie doch von der chinesischen profitiert. Unser Benzinkocher wird während der Chinareise vielleicht im Gepäck verrosten.
Tempobolzen knapp 700km bis Ürümqi

Auf feinster Asphaltstrasse mit grosszügigem Seitenstreifen und zusätzlich meist gutgesinntem Wind kamen wir schneller voran, als wir gedacht hätten. Als wir die anscheinend höchste Brücke Asiens überquerten (die Längste könnte es auch sein, in der Hälfte machten wir Mittagspause) fragten wir uns, ob dieses Tunnel-Brückenprojekt mit der Form einer 8 wirklich notwendig war oder einfach nur aus Prestige-Gründen gebaut wurde. Wir staunten über die vielen Baukranen und neuen Hochhäusern, die wir von Weitem sahen, wenn wir uns jeweils einer Stadt näherten.

bild Trotzdem werden lange Strecken zwischen den Ortschaften zwischen TianShan-Gebirge und Wüste nur für die Landwirtschaft genutzt. Stundenlange konnten wir während der Fahrt die fleissigen Arbeiter auf den Feldern bei der Baumwollernte beobachten. Nebenstrassen waren mit Mais komplett belegt und die trocknenden Chilis gaben der Luft eine spezielle Schärfe. Die Farben waren so kräftig!
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Dass in China gewisse Dinge einer schärferen Kontrolle unterliegen, merkten wir vor allem bei der Hotelsuche. Ausländer sind nur für wenige Hotels zugelassen, eine Regelung die angeblich im Zuge des bevorstehenden Regierungswechsel zusammen mit den strengeren Visabestimmungen und anderen Massnahmen noch verschärft wurden. Und es hüte sich der Hotelbesitzer davor, die Regeln nicht zu befolgen...

In einer Stadt erkundigten wir uns auf der Strasse bei einem Herr nach einer Unterkunft. Er führte uns zum nächstgelegenen Hotel, dort durften aber keine Touristen aufgenommen werden. Als nächstes rief er kurzerhand die Polizei an. Von zwei deutschen Touristen wussten wir, dass dies zu einer langen und mühsamen Angelegenheit werden kann mit Registrierung, Formularen und vielen Fragen. Kurze Zeit später kam ein Kastenwagen mit fünf Polizisten, die uns anzeigten, wir sollen ihnen folgen. Nach mehr als 160km in den Beinen wollten wir eigentlich nur noch ausruhen, ausserdem würden wir sowieso nichts verstehen. Anstatt wie erwartet zum Polizeiposten fuhren uns die Herren in den Hof eines edlen Hotels. Wir erklärten ihnen, dass wir ein günstiges Hotel suchen. Wieviel wir bezahlen möchten? "100 Yuan für Beide.". Nach kurzer Diskussion untereinander wurde ein Polizist an die Rezeption geschickt, der das Ganze für uns "organisiserte".

Kurioses

Hier könnten wir schon eine endlos lange Liste füllen mit Dingen, die uns in den letzten Tagen aufgefallen sind. Was uns aber am Meisten amüsierte war die Hemmungslosigkeit der Chinesen bzw. Uiguren. Es wird gemacht, wozu einem gerade ist - sei dies ein Tänzchen in der Mittagspause im Park, oder wem eher nach singen zu Mute ist, der singt und das alles ohne Angst sich zu blamieren.

Privatsphäre wird klein geschrieben. Im Zug von Ürümqi nach Lanzhou interessierten sich unsere Banknachbarn für alles was wir so dabei hatten. Die Landkarte, Reisebücher, Kamera, Handy - alles machte schon bald die Runde und wurde bis ins letzte Detail inspiziert.

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Es ging nicht lange, wusste der ganze Wagon, dass hier zwei schweizer Radfahrer mitreisten und um unser Sitzabteil bildete sich eine Traube von Leuten, die einfach nur ein bisschen schauen wollten. Irgenwann entdeckten sie die grossen Hände von Tobias und waren richtig entzückt. Immer wieder kam ein anderer Mitreisender, der seine Hände mit Tobias Händen messen wollte.

Ein weiteres Beispiel, woran wir uns noch gewöhnen müssen, sind die öffentlichen Toiletten. Im Bahnhofsklo gab es zwar Türen zu den einzelnen Stehklo-Kabinen, diese konnten aber nur angelehnt, nicht abgeriegelt werden. Kaum hatte ich mich auf der Squattoilette in Position gebracht, wurde die Türe auch schon geöffnet und die Putzfrau sagte irgendewas zu mir. Die Türe ging wieder zu und ich dachte, jetzt weiss sie, dass diese Kabine besetzt ist, jetzt würde ich meine Ruhe haben. Weit gefehlt... Kurze Zeit später wurde die Türe wieder geöffnet und die Dame reichte mir (ich immer noch in der Hocke) freundlich einen Papierkorb und plauderte ganz selbstverständlich irgendetwas vor sich hin. Als sie aber merkte, dass ich wirklich nichts verstand, liess sie mich dann in Ruhe.

Alles in Allem gefällt uns das kindliche Staunen, das die Chinesen auch im Erwachsenenalter nicht verloren haben. Ohne Scham darf hier noch mit offenem Mund etwas Aussergewöhnliches, ohne böse Blicke zu ernten, angestarrt werden.

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